Der Umgang mit queeren Menschen in traditionalistischen Kirchen wird oft von der Gesellschaft als intolerant wahrgenommen, weil unsere Ausdrucksweise als hetzerisch gelesen wird und sogar befürchtet wird, dass die Würde dieser Menschen verletzt werden könnte.
In Augen Vieler steht die potenzielle Intoleranz gegen das Werteverständnis unserer Demokratie, weshalb Menschen mit Gegenwind auf unsere Haltung reagieren und sich gegen diese Haltung positionieren (Wenn du dazu mehr lesen möchtest, dann klicke hier).
Ich selbst habe schon sehr oft die Auswirkungen des Konfliktfeldes im Alltag in meinen engsten Beziehungen erlebt.
Der Gegenwind hautnah
In Gesprächen mit meinen Nicht-gläubigen Freunden-alle heterosexuell und vor ganz wenigen davon geoutet- bekomme ich das Urteil über unsere Haltung zum LGBTQAI+-Thema zu hören. Selbst wenn das Gespräch über Glauben nicht über Querness handelt, schleicht sich doch ganz oft das Thema rein, reißt eine Kluft auf und löst Frustration und teilweise Wut aus:„ Warum sollte Homosexualität ein Problem sein, wenn zwei Menschen sich doch nur lieben?! Warum verurteilt ihr Menschen für etwas, wenn sie doch absolut garnichts dafürkönnen? Diese Menschen haben bitter für ihre Rechte gekämpft, wieso erkennt ihr diese Rechte nicht einfach an?!“
Zwei Situationen habe ich dabei besonders deutlich im Gedächtnis
Als ich mich in einer fremden Freundesgruppe annäherte und mich vorstellte, wurde ich direkt auf das Kreuz aufmerksam gemacht, das ich um mein Hals hatte. Ich sagte dann, dass ich ein Christ sei und wirklich an Jesus glaube. Direkt fiel der Satz: „Dann bist du ja so ein Homophober!“ In diesem Moment blieb mir der Atem weg. Es fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Als (insgeheim) Schwuler, der die Theologie der Kirche zu dem Thema besonders gut kennt, hielt ich in dem Moment inne. Ich dachte, dass stereotypische Sätze wie: “Nein! Wir lieben jeden so wie er ist, nur das Ausleben der Sexualität ist Sünde.“ Oder gar „Wir beten dafür, dass Schwule geheilt werden“ in dem Moment nur in deren Karten gespielt und möglicherweise deren Urteil bestätigt hätten. Durch mein Schweigen gab ich mich geschlagen, weil ich nicht in einfachen Sätzen den Vorwurf hätte abwehren können, ohne lange ausholen zu müssen, um unsere Theologie zu erklären. Ich fühlte mich so, als könnten diese Rechtfertigungen die emotionale Distanz nicht überbrücken, die unsere Theologie zu schaffen scheint.
Das andere explizite Ereignis war, wo einer meiner besten Freunde (hetero), der ungläubig ist und von meinem Schwulsein weiß, sagte: “Ich werde nie in so eine Kirche wie deine überhaupt einen Fuß setzen, wenn sie keine Homosexuellen [in Gänze] annehmen und die Homosexualität wegbeten wollen. Das ist krank!“
Eine Zerreißprobe
Diese Sätze stachen wie Messer in meinem Herzen und waren meine größten Auslöser dafür, unsere Theologie zu hinterfragen und Gottes Herz darin neu zu suchen. Es war kein Wunsch nach einer intimen, romantischen Beziehung mit einem Mann. Es war die Konfrontation mit der Erkenntnis, wie viel Zerrissenheit doch zwischen den Fronten wütet -und welche bitteren Früchte dieser Konflikt trägt.
Und gleichzeitig als Gläubiger schwuler Christ zwischen den Fronten zu stehen, ist belastend. Dass (m)eine Sexualität als Mittel eines plakativen Streits gebraucht wird, um auszusagen, wer moralisch wem überlegener ist und wer ein rechtschaffeneres Weltbild besitzen würde, ist zerreißend. Was steckt hinter den Spannungen zwischen Kirche und Gesellschaft?
Zwei ganz unterschiedliche Narrative
Eine große Säule, die den Konflikt zwischen Gesellschaft und traditionalistischen Christen aufrechterhält, ist die Frage der Identität. Mir scheint es so, als gäbe es zwei gänzlich unterschiedliche Grundverständnisse von dem, was Homosexualität eigentlich überhaupt ist.
„Can you be gay and Christian?”
Ich hörte schon mehrmals den Ausdruck „gay-lifestyle“ in christlichen Umgebungen. Als wäre „schwul sein“ untrennbar mit einem bestimmten Lebensstil verbunden, geprägt von Zerbrochenheit bzw. Trauma, sexueller Ausschweifung oder Drogenkonsum. Dazu herrschen tatsächlich auch statistische Tendenzen zu diesen Verhaltensmustern in bestimmten Kontexten, die ich in einem anderen Blog voller Demut und Liebe kritisch betrachten werde. Diese Tendenzen sind eher mit der Folgen der Marginalisierung und Diskriminierung verbunden.
Auch eine sehr populäre Aussage in christlichen Kreisen ist der Satz: „Die Sünde ist nicht das Schwul sein, sondern das Ausleben der Homosexualität.“ Also wird von traditionalistische Christen Homosexualität in der Handlungsebene gesehen. Also aktiv dasselbe Geschlecht begehren (auch in Gedanken), Sex haben oder in einer homosexuellen Beziehung zu sein, sei die Sünde. Außerdem wird argumentiert, dass man als Christ sich nicht als Homosexueller Identifizieren solle oder könne, da man der Sünde gestorben sei (Römer 6, 2 ff.) und sie nicht mehr ausleben würde. Allein eine kurze YouTube Eingabe von „Can you be gay and Christian?“ führt zu Content, wo das Identifizieren mit Homosexualität an die Handlung und einem Lebensstil gebunden wird und dadurch (!) etwas ist, von wo man umkehren kann und ablegen kann.
Das gesellschaftliche Verständnis
Und die Gesellschaft? Das Bild von Homosexualität ist ein gänzlich anderes. Im gesellschaftlichen Kontext ist mittlerweile Homosexualität als eine Form der sexuellen Identität anerkannt und als Normvariante angesehen. Als ein Bestandteil der eigenen Identität und Anteil des authentischen Ichs, unabhängig ob sie ausgelebt wird oder nicht. Also handelt es sich „um einen Bestandteil des Selbstverständnisses einer Person […], der nicht nur durch die sexuelle Beziehung zu einer anderen Person bestimmt ist.“[1] Das gesellschaftliche Bild von Homosexualität ist demnach, auf die Identität bezogen, gefächerter. Die sexuelle Orientierung ist nach der Gesellschaft intrinsicher Bestandteil des Menschen, unabhängig davon, ob sie aktiv ausgelebt wird oder nicht. Also ist nach diesem Verständnis eine Person homosexuell, auch wenn sie nicht diese (zurzeit) aktiv in Form einer Beziehung oder Ähnlichem auslebt . Homosexualität ist nach diesem Verständnis ein Label, ungekoppelt an einen bestimmten Lebensstil oder biografischen Hintergründen.
Was macht Identität aus?
Die grundlegenden Unterschiede im Verständnis von LGBTQAI+ münden in eine sehr philosophische Frage über Identität. Kann ich mich erst mit etwas identifizieren, wenn ich es aktiv im inneren oder äußeren auslebe? Bin ich demnach wirklich schwul, wenn ich diese nicht auslebe und nicht ausleben will? Kann ich mich dann von der Homosexualität „entidentifizieren“, auch wenn sich die sexuelle Orientierung nicht verändert hat und potenziell sich nicht ändern wird?
…Das ist schon ganz schön komplex, findest du nicht auch? Das stellt eine tiefgehende Frage in den Raum, was Identität überhaupt ausmacht und welche Rolle Sexualität für die Identität spielt.
Welche Rolle Sexualität in das Leben und der Identität eines Menschen einnehmen kann, ist für queere Menschen eine besonders tiefe Frage. Wenn ich aufgrund meines Queer-Seins Ablehnung, oder gar Angst vor Ablehnung und Gewalterfahrungen erlebe, nimmt die Sexualität unweigerlich eine stärkere Rolle im Leben ein als nur ein sexuelles oder geschlechtliches Empfinden. Das Queer-Sein hat das Potential, in das Leben eine Identitätskrise oder Identitätssuche auszulösen, was damit ein sehr prägender Bestandteil des Lebens wird und daher ein verletzlicheres Thema darstellt. Außerdem ist an das Queer-Sein ebenso eine gesellschaftliche Rolle verbunden, die mit Erwartungen und bestimmten Bildern konfrontiert wird. Das macht das Thema nochmal um eine Ebene komplexer.
Würde und Identität
Somit hören außenstehende Menschen unsere Botschaften über LGBTQAI+, die Homosexualität nicht als Handlung verstehen, sondern als intrinsischer Bestandteil von Identität. Wenn gesagt wird: „Homosexualität ist falsch“, dann wird für diese Menschen über etwas gesprochen, was eine Person ausmacht. Für diese Menschen spricht man mit so einem Satz nicht nur über (homosexuelle) Handlungen. Sie wird so gelesen, dass vom Anteil der Identität gesprochen wird und der Mensch als Ganzes invalidiert wird. Und wenn er Anteil von Identität invalidiert wird, dann wird für diese Menschen die Würde dieser Menschen angetastet und verletzt. Es kann weh tun, wenn ein Eigenanteil der Identität invalidiert wird oder der Eigenanteil der engen Mitmenschen. Diese Sätze sind für außenstehende Menschen vergleichbar mit Aussagen wie: "Menschen mit dunklen Haaren und schwarzen Augen sind falsch."
Das ist mitunter einer der Gründe, wieso unsere Haltung als antidemokratisch gelesen wird und so eine Kontroverse in der Gesellschaft mit sich bringt.
Liebe den Sünder, aber hasse die Sünde?
Der Satz „Liebe den Sünder, aber hasse die Sünde“ wird oft in der LGBTQAI+-Thematik angeführt und genau an diesem Punkt fängt an, dieser Satz zu bröckeln. Es versucht zwischen den Handlungen und der Person zu differenzieren und dadurch an Nächstenliebe zu appellieren. Bei Homosexualität verschwimmt aber diese Differenzierbarkeit für Viele, wodurch sich Aussagen wie „Homosexualität ist falsch“ in die Zone verliert, wo diese Aussagen wie ein Angriff auf Menschen wahrgenommen werden können.
Raus aus der Grauzone… Um jeden Preis
Ist das LGBTQAI+-Thema, aufgrund seiner intrinsischen Beschaffenheit über Identität, dazu verdammt, für uns Christen in so einer grässlichen Grauzone zu sein, wo Potential darin besteht, Leute in ihrer Identität und gar Würde anzugreifen? Das ist meiner Meinung nach eine exklusive Beschaffenheit, die die LGBTQAI+-Thematik mit sich bringt und mit der wir weise umgehen müssen. Ich ringe noch sehr damit, wie wir aus der Grauzone zwischen Intoleranz und Tolerierbaren in Gänze entweichen, damit die Botschaft der Liebe Gottes in Gänze durchdringt, ohne Botschaften, dass jemand falsch sei. Reicht es aus, eine wertschätzendere und wärmere Rhetorik zu verwenden, wenn es um das LGBTQAI+-Thema geht?
Liebe Weitergeben ist der Türöffner
Die Themen rund um Identität, Sexualität und Glaube sind nicht einfach zu greifen. In diesen Spannungen und Konflikten, liegt aber auch eine Chance. Die Chance, dort Brücken zu errichten, wo woher Mauern standen. Neue Pfähle zu schlagen und mehr über uns gegenseitig zu lernen. Durch Mitgefühl und Demut schaffen wir Räume, wo Ehrlichkeit herrschen darf und Fehler eingestehen werden dürfen. Räume, wo wahre Umkehr zu Gott stattfinden kann. An diesen Gott halten wir fest. Einen Gott, der all unseren Schmerz, all unsere Krisen kennt. Er ist der Gott allen Trostes und aller Bamherzigkeit (2. Korinther 1, 3-4)!
Gottes Liebe an uns ist absolut - und gerade darin fordert sie uns heraus. Sie ruft uns dazu auf, diese Liebe einander zu geben, mit Feingefühl und das Würdigen des Nächsten.
"Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer. Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt."
-Römer 13, 8
Denn die Art, wie wir als Kirche mit diesen Themen umgehen, entscheidet für Viele, wie echt unsere Botschaft von Gottes Liebe tatsächlich ist. Lasst uns diesen Ansprüchen gerechter werden! So kann die Kirche ein Ort werden, der nicht durch Grauzonen der Unsicherheit und der Ablehnung geprägt ist, sondern da Brücken errichtet, wo vorher Mauern trennten.
Stell dir vor, wie anders das Territorium rund um das LGBTQAI+-Thema aussehen könnte, wenn die Botschaft der Liebe so unmissverständlich wäre, dass niemand mehr mit gebrochenem Herzen gehen müsste – weder in der Kirche noch in der Gesellschaft.
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